Wohnkomplex Lukasareal

Wohnkomplex Lukasareal
Address: Reichenbachstrasse / Andereas-Schubert-Strasse, Dresden, Germany
Completion:1999-2003


Ach, das könnte schön sein
Ein Häuschen mit Garten: In der Dresdner Innenstadt läßt sich's erstaunlich gut und ruhig wohnen
 
Wohnen in der Innenstadt hat heute oft noch einen zweifelhaften Ruf. Lärm, Hektik, Straßenschluchten und enge Hinterhöfe scheuend, treten viele Innenstadtbewohner die Flucht in die vermeintliche Ruhe der Peripherie an und verursachen in den verlassenen Vierteln horrende Wohnungsleerstände. Vor allem ostdeutsche Innenstadtquartiere wie der Leipziger Osten, der Brühl in Chemnitz oder das Riebeckviertel in Halle gleichen Geisterstädten.
 
Wie ein tröstliches Wunder erscheint da die Wohnanlage "Lukasareal", die an der Schubertstraße in der südlichen Innenstadt von Dresden zu besichtigen ist. Dort ist ein Quartier entstanden, das wie eine Antithese zur bisherigen Misere anmutet: Einer Oase gleich bieten sich anmutige Reihenhäuser unter hohen Bäumen; die Hauszeilen mit einfachen und freundlichen Formen sind umgeben von Gärten, Bäumen und Wiesen. Über allem liegt traumhafte Ruhe, die jeden Gedanken an eine gewöhnliche Innenstadt vergessen macht.
 
Dieses Wunder wäre allerdings ohne die Leerstände nicht möglich gewesen. Denn vor wenigen Jahren sah ein Rahmenplan der Stadt an dieser Stelle die Wiederherstellung einer dichten, im Zweiten Weltkrieg vernichteten Blockrandbebauung vor. Erst die Vielzahl verwaister Wohnhäuser und der Überschuß an Geschoßwohnungen brachten den Bauherrn und die Stadt dazu, das Experiment mit neuen Formen innerstädtischen Wohnens zu wagen. In den Berliner Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann, die auch den Neubau des Auswärtigen Amtes in Berlin errichtet haben, hatten sie kongeniale Partner. Ihre Grundidee war es, die allseits begehrten Einfamilienhäuser mit Gärten, die bisher nur an der Peripherie zu finden waren, auch in der Innenstadt zu realisieren. Dies mit der Überzeugung, daß eine detailliert durchdachte Funktionalität den derzeit üblichen spektakulären Bauten weit überlegen sei. Funktionell ist schon die städtebauliche Figur des Lukasareals: Neununddreißig Reihenhäuser und vier Stadtvillen wurden zu Zeilen geordnet, deren Wohnräume und Gärten nach Süden hin ausgerichtet sind und deshalb optimale Besonnung genießen. Perfekt ist auch die Verkehrserschließung: Das Quartier wird nicht von lauten Durchgangsstraßen durchquert, sondern von einer Straße umfaßt, die lediglich Stichstraßen zu den Häusern führt. So konnte das Zentrum des Viertels als Anger gestaltet werden, der mit Bänken und einem Spielplatz zum Verweilen einlädt. Zudem ist das Quartier so gut an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen, daß die Bewohner sogar auf Autos verzichten könnten.
 
Die Vorliebe für das Funktionale bestimmt auch die Fassaden. Sie leben vom Wechsel zwischen weißen Putzflächen, roten Fensterläden sowie den Fensteröffnungen und verleihen dem Quartier ein einheitliches Gesicht. Diese Ästhetik signalisiert auch optisch, daß es im Lukasareal nicht um das Zurschaustellen von Individualität, sondern um die Einordnung in einen größeren Zusammenhang geht. Nicht minder funktional sind die Innenräume angelegt. Die Wohnzimmer wirken dank einer Raumhöhe von 3,50 Metern und einer gläsernen Fensterfront großzügig, in den übrigen Räumen sorgen raumhohe Fenster und verschiebbare Fensterläden für viel Licht und ein angenehmes Raumklima. Weitere Details, allen voran Dachterrassen, vervollkommnen den Wohnkomfort. Sichtblenden aus Beton, Rankgerüste und Gartenmauern sorgen für die nötige Privatsphäre. Komplettiert wird die Anlage von Freiflächen, die das Züricher Büro Kienast, Vogt und Partner gestaltet hat. Die Landschaftsarchitekten verbanden Rasenflächen, Hecken und Bäume zu einer Parklandschaft, die die Häuser anmutig umspielt. Das Ergebnis ist eine Idylle, die Identität, vielleicht sogar Heimat in der großstädtischen Anonymität schenkt.
 
Allerdings offenbart das Lukasareal auch die gegenwärtigen Probleme innerstädtischer Wohnprojekte. Beispielsweise sorgten die hohen Grundstückspreise dafür, daß die Reihenhäuser mehr als 250 000 Euro kosten. Wenn innerstädtische Eigenheime für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich werden sollen, dann müssen vor allem Kommunalpolitiker nach Wegen zu niedrigeren Bodenpreisen suchen. Ansonsten liefe das Modell Gefahr, nur Inseln der Seligen für Besserverdiener zu liefern. Dennoch weckt das Lukasareal die Hoffnung, daß die Krise der Innenstädte keineswegs zu ihrer dauerhaften Verödung führen muß. Im Gegenteil: Wo der Mut zu neuen Lösungen vorhanden ist, können sie in gewandelter Form neuartige Attraktivität entwickeln.
Matthias Grünzig, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.listopadu 2003
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